Alltag frisst Leben auf

Was ich im Kopf hatte, war eine erneute “AP ist eine Haltung, die Bedürfnisse aller sind wichtig” Sache. Aber zwischen Wäschebergen, dem dritten leeren Glas in der Wohnung, dem Zahnpastarest im Waschbecken und der Frage, wohin schon wieder all die gewaschenen langen Hosen von Kind 2 gegangen sein könnten – da kam der Alltag. Und der Gedanke, das Bedürfnisse und Alltag vielleicht einfach nicht gut zueinander passen.

Noch mal zur Erinnerung: AP, Attachment Parenting oder bedürfnisorientierte Erziehung, das sieht die Bedürfnisse ALLER im Vordergrund. Theoretisch ist der Familienalltag damit entspannter, theoretisch werden alle Mitglieder der Familie als gleich wichtig betrachtet, ihre Anliegen und Bedürfnisse wahrgenommen.

Immer mal wieder gibt es ja “Abrechnungen” mit dieser Haltung, zuletzt in der Zeit. Oder hier. Und dann wird klar festgehalten, das stillen-tragen-Familienbett ja erschöpfend seien. Zu viel. Zu dogmatisch. Zu … irgendwas. Das Kind wäre doch auch mit Flasche, Buggy und eigenem Bett versorgt. Oder mit irgendwas dazwischen. Jedenfalls undogmatisch, bitte danke.

Was mich erschöpft…

Nein, nicht diese Art von Artikel. Auch nicht die Ansprüche anderer Eltern. Oder die Ansprüche der Gesellschaft (wobei: doch, etwas).

Nö. Es ist der Alltag und es ist die Verantwortung als Elternteil, die meine Kraft fressen. Und da kommt das AP-Gedöns ins Spiel:

  • AP als Haltung verlangt nach einer reflektierten Einstellung dazu, wie Kinder aufwachsen (sollten).
  • Wie Paare in einer Beziehung miteinander umgehen sollten.
  • Welche Vorbildfunktion man einnehmen mag & welche Auswirkungen das auf die Beziehung zu den Kindern, dem Partner und allen anderen haben kann.

So ein Rattenschwanz entsteht durch eine reflektierte Haltung. Die Rosa-Hellblau-Falle ist etwas, mit dem man sich als aufgeklärter Elternteil schon mal beschäftigen kann. Ausgiebig. Man kann sich mit der kindlichen Sprachentwicklung beschäftigen und damit, wie man gewaltfrei kommuniziert. Oder damit, wie sich Mobilität gesund und kindgerecht so aufbauen lässt, das Eltern von A nach B kommen, und die Kinder sicher transportiert werden. Man kann sogar Stillberaterin werden, einfach, weil das Thema faszinierend ist. Oder Trageberaterin, weil einen sowieso alle nach Tipps fragen und man dann lieber eine fundierte Ausbildung zum Thema macht – um niemanden falsch zu beraten.

Muss man sich als APler zwangsläufig mit allem befassen? Nein. Aber häufig steigt man tiefer ein. Weil man es genauer wissen will. Weil man reflektiert.

Ein Nebeneffekt? Abstimmungsarbeit. Gespräche, Gespräche, Gespräche. Mit dem Partner, der Oma, den ErzieherInnen. Erklärungsarbeit gegenüber dem neugierigen Nachbarn von Gegenüber, der das mit dem Tragetuch nicht kennt und komisch findet. Recherchearbeit, wenn der Kinderarzt dann doch wieder zum 4. Monat das HIPP-Gläschen empfiehlt.

Irgendwann ist man es dann einfach leid. Da hilft auch der Gedanke nicht mehr, dass die Welt eigentlich voller aufgeklärter,  undogmatischer Menschen wäre. Und dass selbst die Sears heutzutage reichlich Probleme in der einen oder anderen Elterngruppe hätten.

Wer dachte eigentlich, das mit den Kindern wäre leicht?

Wer hat eigentlich diesen Mythos in unsere Köpfe gepflanzt, das mit der Kinderaufzucht wäre easy? Wer hat bloß angefangen, Weg A bis Z in leicht-mittel-hardcore einzuteilen?

Kinderbetreuung ist anstengend. Bedürfnisorientiert zu erziehen und sich selbst – und allesdrumherum zu reflektieren, ist anstrengend. Zusätzlich (!) noch den Haushalt zu machen, für saubere Böden, volle Kühlschränke und gefüllte Konten zu sorgen, ist Kür und nicht Pflicht. Es ist anstrengend, gleichzeitig die Jobs von vielen anderen Menschen zu erfüllen. Und es ist deshalb so anstrengend, weil der gesellschaftliche Konsens sagt:

Mutti schafft das schon (allein).

Das verschüttete Glas Wasser aufwischen, im Kopf die Termine der nächsten Woche durchgehen. Den Stapel mit Rechnungen sehen, den Rückruf an die Oma nicht vergessen. Kita- und Schulmaterial pünktlich kaufen, die Betreuung für den Elternabend organisieren. Ans Essen denken – fürs Kind und für sich selbst. Frische Wäsche für alle, vielleicht nicht grad aus dem Wäschekorb zusammengeklaubt. Ordentlich aussehen auf der Arbeit, mit den Kindern Spaß haben. Das “Beste” für die Kinder im Blick haben. Sich Gedanken machen um Impfungen, die richtige Ernährung, ausreichend Bewegung, die passende Kleidung, ausreichend Sozialkontakte, Quanti- vs. Qualitätszeit.

Ich glaube ganz fest daran, dass das unabhängig von der gewählten inneren Haltung zu viel ist für einen Erwachsenen. Selbst für zwei.

Und dass nun ausgerechnet unter APlern besonders häufig Burnout und Co. drohen?

…. Grundvoraussetzung für Attachment Parenting ist eine reflektierte Haltung:

  • Wer reflektiert, überdenkt – hinterfragt – bohrt nach.
  • Schmeißt alte Glaubenssätze über Bord.
  • Schaut bei sich selbst und auch bei anderen genauer hin.
  • Kommuniziert mehr, häufiger – und hat mehr Abstimmungsbedarf.

Das frisst Zeit – und Nerven. Es erfordert einen langen Atem und die Möglichkeit, diese ganzen Entscheidungen, die offenen Fragen und die Suche nach Vorbildern auf andere abwälzen zu können. Zumindest ab und an.

Sollte man deshalb jetzt auf AP verzichten?

Nein.

  1. Eine andere Einstellung zum Kind ändert nichts an der Mehrfachbelastung. Und diese ist das viel größere Problem.
  2. Wir wollen ja gerne unabhängige, selbstständige und sicher gebundene Kinder, die sich selber reflektieren und kritisch hinterfragen. Die bekommt man aber nicht, indem man die Kinder herumkommandiert.
  3. Viele Dinge werden durch AP auch leichter, vor allem in der Babyzeit. Wenn z. B. das Stillen gut läuft, dann ist es unglaublich unkompliziert und spart eine Menge Zeit und Geld.

Worauf man aber auf jeden Fall verzichten sollte, ist jede Form von Dogmatismus und Selbstaufgabe. Denn die führen einen immer weiter in die Erschöpfung und das dient niemandem. Und für sich selbst etwas Verständnis aufzubringen, sich selbst daran zu erinnern WIE viele “Jobs” da eigentlich gerade erfüllt werden – das kann ja auch nicht schaden 😉

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Sabrina
Hy, hier schreibt Sabrina. Freiberuflich als Copywriterin anzutreffen, mit Mann & zwei Kindern in enger Gemeinschaft. Feministisch, bindungsorientiert & zutiefst sarkastisch. Bekennende #coffeeholic

Ein Gedanke zu „Alltag frisst Leben auf“

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