Ok, dieser Beitrag hier wird etwas speziell. Denn wir schreiben ihn zum einen zusammen, zum anderen ist er Teil einer Praxis-Aktion von Felicitas Richter. Quasi “simple present” am lebenden Familienalltag. Mit dem Blick auf Erwartungen – von der Gesellschaft, den Kindern, dem Partner, der Familie – und auf die ganz eigenen Erwartungen.
(uta) Ich mag Erwartungen nicht und versuche auch, möglichst wenig zu erwarten. Dennoch geht es nicht ganz ohne. Denn Erwartungen nehmen uns die Angst vor dem Unbekannten. Wir überlegen, was auf uns zukommen könnte und fühlen uns dadurch sicherer. Dennoch können Erwartungen sehr belasten. Denn sie können enttäuscht werden. Meine Erwartungen. Und die Erwartungen der Anderen an mich. Diese werden von allen Seiten an uns herangetragen. Wie können wir damit umgehen?
Erwartungen der Gesellschaft
(uta) Gerade Mütter werden mit unheimlich vielen gesellschaftlichen Erwartungen konfrontiert. So sollen sie
- gut aussehen (Stichwort MILF)
- sich um ihre Kinder kümmern
- am besten noch Arbeiten gehen und
- eine liebevolle Partnerin sein
Das ist ganz schön viel auf einmal und nicht wenige der gesellschaftlichen Erwartungen widersprechen sich. Hier muss dringend eine Debatte her darüber, woher diese Erwartungen kommen und welche davon noch zeitgemäß sind. Außerdem fände ich persönlich es gut, wenn die Erwartungen, die an Mütter gestellt werden, auch genauso mal an die Väter gestellt werden. Denn das ist erstens eine gute Möglichkeit, diese zu überprüfen und zweitens sind die Väter genauso in der Verantwortung wie die Mütter.
(sabrina) Ach ja, die Praxis. WIE löse ich mich denn nun von den Erwartungen, die auf mich einstürmen? Es gibt da ja unterschiedliche Herangehensweisen. So mancher schließt sich für drei Tage im Kloster ein, der nächste bucht ne Runde Hotel-Wellness mit der besten Freundin… ich drehe in der Regel ein bis fünf Runden mit dem Hund. Und dann frage ich mich, ob “das” eigentlich für mich selbst wichtig ist. Will ICH perfekte, liebe Kinder, die nicht weiter auffallen? Oder einen hohen Jahresumsatz? Oder den Garten, vom dem jeder Nachbar nur träumt? Soll mein Kind das mit den meisten Einladungen zu Geburtstagen sein?
Reflektieren nennt man das – und es ist ein Lernprozess, zwischen den Erwartungen der Gesellschaft und den ganz und gar eigenen zu unterscheiden.
Erwartungen des Partners
(uta) In jeder Partnerschaft gibt es Erwartungen. Diese sind je nach Paar sehr verschieden, aber sie sind da. Daher ist es wichtig, darüber zu sprechen, klare Absprachen zu treffen und diese auch regelmäßig neu zu diskutieren. Denn nicht erfüllte oder übersteigerte Erwartungen können eine Partnerschaft sehr belasten.
Gerade Erwartungen, die ich an meinen Partner stelle bzw. umgekehrt er an mich, tun besonders weh, wenn sie nicht erfüllt werden. Hier hilft Transparenz und Selbstreflektion sehr, um zum Einen die Erwartungen dem Partner deutlich zu machen und um mich zum Anderen selbst zu fragen, wie realistisch und berechtigt meine Erwartungen sind.
Es ist etwas anderes, wenn ich erwarte, dass mein Partner sich um die Wäsche kümmert, wenn wir das so abgesprochen haben als wenn ich einfach stillschweigend davon ausgehe, weil er ja zu Hause ist/Zeit hat/jetzt dran ist.
(sabrina) Was ich wirklich, wirklich oft lese ist: “Da muss man drüber verhandeln”. Steht auch im “simple present” Buch, nennt sich dort Familienkonferenz. Das Konzept gibt es schon länger, wird immer mal wieder neu beschrieben, umgedeutet usw.. Bislang kam ich nicht in den Genuss, denn K1 ist jetzt gerade erst im Schulalter, vorher machte das nicht so richtig Sinn. Wir probieren das demnächst mal aus – gemeinschaftlich Aufgaben, Termine und vor allem auch die verflixte Hausarbeit aufzuteilen. Denn, mal ehrlich: das ganze ad hoc rein als Eltern zu stemmen, ist keine gute Idee. Und wenn nur einer den digitalen Familienkalender pflegt, ist das auch Mist.
Was mich zu einer Frage führt, auf die es nur wenig konstruktive Antworten zu geben scheint:
Was tut mann/frau denn, wenn in einigen essentiellen Punkten die Erwartungen des Partners gegensätzlich zu den eigenen laufen – und Kompromisse nicht drin sind? Lösungen habe ich dafür bislang kaum gefunden – oder wenn, dann von der radikalen “auflaufen lassen!”/”trennen!”/”Privilegien streichen!” Ecke. Nicht mein Weg, nicht meine Option.
Erwartungen der Kinder
(uta) Auch unsere Kinder erwarten von uns viele Dinge. Zum einen natürlich, dass wir uns zuverlässig um sie kümmern. Sie nähren, schützen und kleiden. Aber auch, dass wir Interesse an ihnen zeigen, etwas mit ihnen unternehmen und Zeit mit ihnen verbringen. Diese Erwartungen sind ihnen in der Regel aber nicht klar und sie kommunizieren sie nicht deutlich. Vermutlich, weil sie es noch nicht können. Ich sehe es bei den Kindern als meine selbst gewählte Aufgabe an, diese Erwartungen nach Nahrung, Schutz, Kleidung und Zuwendung zu erfüllen. Denn das ist meine Aufgabe als Elternteil, dazu habe ich mich in dem Moment verpflichtet, als ich beschlossen habe, Kinder zu bekommen.
Andere Erwartungen erfülle ich nicht so zuverlässig. Ich bezahle meinem Teenager z. B. nicht alle Dinge, die er gerne hätte. Auch wenn er das manchmal von mir erwartet. Hier ist es wichtig, zwischen Wünschen und Bedürfnissen zu unterscheiden.
(sabrina) Baby-Bedürfnisse gehen immer vor. Aber irgendwann, da sind unsere Kinder keine Babys mehr und dann verschiebt sich diese Sofortigkeit auch. Diesen Erwartungen muss man dann – finde ich – nicht sofort und nicht uneingeschränkt entsprechen.
Felicitas Richter spricht bei ihrer “simple present” Methode übrigens vom Flow. Und während ich das Kapitel in ihrem Buch las, schoß mir “ja verdammt!” im Kopf herum. Denn allzu oft erwarten meine Kinder, dass ich jederzeit ansprechbar bin. So sind Kinder, das ist ok. Aber für mich ist es das eben nicht. Weil ich gerade wirklich “im flow” lese oder diesen einen Absatz zuende schreiben will. Oder genau jetzt das Marmeladekochen ungestört beenden will. Ohne einen Schuh zu zu binden, ein Glas Wasser einzuschenken usw.
Momentan sieht unsere Lösung noch so aus, dass ich mit Kopfhörern und Musik auf den Ohren als “beschäftigt” gelte, also nicht angesprochen werden will. Klappt nur bedingt, wird aber besser. Das ist übrigens etwas, was auch der Gatte noch lernen muss – wer wie ich im Homeoffice arbeitet, kennt das eh: Irgendwie scheint man immer “erreichbar” zu sein. Geschlossene Türen oder Geschäftszeiten halten hier niemanden davon ab, mein Büro zu entern.
Die Kopfhörer sind dagegen – warum auch immer – wirkunsgvoller. Auf die Ohren gibt es entweder explizite Konzentrationsmusik (via Focus@will) oder passendes aus der Spotify-Auswahl. Eine große Herausforderung an mich ist übrigens (trotz mehrer Jahre Übung) immer noch dieser Satz:
Frag bitte Papa, der ist doch sowieso oben!
Ich erwische mich immer noch dabei, selbst aus dem Büro nach oben zu kommen, um dem Kind wie gewünscht ein Brot zu machen/die Flasche Wasser aufzuschrauben/….., während der Mann im Wohnzimmer anwesend ist – und eigentlich für die Kinder zuständig. Sich von dieser Zuständigkeit zu lösen und ganz bewusst Aufgaben (und damit auch verknüpfte Erwartungen) abzugeben, ist immer noch schwierig. Wobei ich nicht mal sonderlich scharf auf ebendiese Arbeitsunterbrechungen bin. Dieser Automatismus hat sich irgendwann eingeschlichen, verselbstständigt…
Aber was ist mit meinen Erwartungen an meine Kinder?
(uta) Dies ist ein sehr wichtiges Thema. Denn meine Erwartungen an meine Kinder bestimmen mein Verhältnis zu ihnen. Wenn ich erwarte, dass sie mir gehorchen sollen, dann werde ich anders mit ihnen umgehen, als wenn ich das nicht erwarte.
Andererseits können wir uns von Erwartungen nicht völlig frei machen. Gerade nicht unseren Kindern gegenüber. Aber wir legen sie durch unsere Erwartungen fest, können über- oder unterschätzen. Daher ist es mir wichtig, meine Erwartungen an meine Kinder immer wieder zu hinterfragen und zu prüfen. Denn freimachen davon kann ich mich nicht – vielleicht noch nicht.
(sabrina) Ach, schrecklich. Also so ganz insgesamt das Thema der Erwartungen in Bezug auf Kinder. Denn selbst wenn der Kopf weiß, dass jedes Kind seinen Weg geht – und wir als Erwachsene höchstens begleiten und Unterstützung anbieten – so machen Herz und Bauch doch manchmal trotzdem, was sie wollen. Und dann ist es schwer, sich vom dem einmal ausgedachten loszulösen.
An diesen Punkten im Alltag, bei denen es in meinem Kopf nur “WAS ZUR H*****?!” schreit:
- Schritt zurück, nicht nur innerlich, sondern ganz bewusst auch körperlich.
- Durchatmen.
- Konzentrieren auf genau das, was jetzt gerade passiert.
- Und mich fragen: Was verlange ich da gerade vom Kind?
Erwartungen der Familie
(uta) Auch meine Familie hat Erwartungen an mich als Schwester, Tochter, Schwiegertochter, Tante und Schwägerin. Diese Erwartungen bleibt auch oft unausgesprochen. Das führt bei mir zumindest dazu, dass ich es schaffe, diese nicht an mich heranzulassen. Denn wenn jemand mir nicht sagt, was er erwartet, dann bin ich auch nicht bereit, mir zu überlegen, ob ich diese Erwartungen erfüllen möchte oder nicht.
(sabrina) Nach Jahren im Homeoffice hat meine erweiterte Familie noch immer nicht ganz verstanden, dass ich tagsüber arbeite. Ja, wirklich. Auch wenn ich daheim bin. Ja, auch wenn ich offiziell in Facebook auf “online” stehe (notwendiges Ding, wenn man Unternehmensseiten auf FB betreut, nich). Entsprechend ist die Erwartung groß, dass ich ansprechbar bin – eben auch tagsüber. Auch in meiner Arbeitszeit. Und ja, für die erweiterte Familie, die mich oft aus bestimmten Gründen heraus anruft, mache ich Ausnahmen in meiner Zeitplanung.
Da gibt es diese Idee, dass Zeitmanagament, also Zeitplanung, nur bedingt funktioniert. Erst recht nicht in Familien mit Kindern.Ich lese das bei Felicitas im Buch, überdenke es. Lese dem Gatten die Passage vor, der mich anguckt und meint: Naja, das ist doch total logisch, was ist da für dich neu?!
Äh… Ja im Grundzug nix. Aber es rüttelt an den Grundfesten de “Ich muss es nur noch etwas besser timen, organisieren, kategorisieren” durchgetakteten Alltags, wenn man sich mal ganz und gar auf diesen Gedanken einlässt.
Jetzt ist es hier schon so, dass ich vergleichsweise selten kranke Kinder habe. Also relativ (haha!) sichere Arbeitszeiträume. Wenn harte Deadlines anstehen, gehe ich schlicht nicht an das private Telefon, während ich arbeite. So. Bei flexibler Zeitplanung dagegen gehe ich dran, frage nach wo der Schuh drückt (PC Probleme? Organisationszeug?) und kümmere mich direkt drum.
Erwartungen von Freunden
(uta) Ehrlich gesagt möchte ich keine Freunde haben, die von mir bestimmte Dinge erwarten. Denn Freundschaften sind für mich keine Handelsbeziehungen. Ich wünsche mir Freunde, die offen sind, mich so zu akzeptieren, wie ich bin. Ohne Erwartungen und Ansprüche. Und ich bemühe mich, auch so eine Freundin zu sein. Ob mir das gelingt? – Fragt meine Freunde.
(sabrina) Dieses “redet miteinander” ist bei Freunden quasi unverzichtbar. Ich habe mittlerweile ein Standardrepertoire an Statements, wenn es um Freundschaften geht. Das bremst zum einen meine eigene (meist unerfüllbare) Erwartung aus, zum anderen klärt es auch direkt die Möglichkeiten für (neue) Freunde.
- Ruf mich an, wenn du mich brauchst – dann bin ich immer erreichbar. Aber erwarte nicht, dass ich jederzeit für Smalltalk bereit bin.
- Hab Geduld mit mir – manchmal brauche ich für ein simples Smiley im whatsapp-Grüppchen 3 Tage.
- “Spontane” Verabredungen klappen fast nie. Vergiss es. Aber lass uns einen Termin machen, das geht.
- Erwarte nicht, dass ich mich kontinuierlich bei Dir melde – das ist etwas, was ich nur schwer leisten kann. Je weniger digitale Berührungspunkte wir haben, desto schwerer fällt es mir.
Hat ein bisschen was von “Karten auf den Tisch packen”, ist aber notwendig. Wie praktisch allen Eltern die ich kenne, sind mir schon Freundschaften an meinem mangelnden Engagement zerbrochen. Weil die Realität von erwerbstätiger Mutter mit den Erwartungen an eine Freundschaft nicht immer konform gehen.
Und, Uta? Es gelingt!
Eigene Erwartungen
(uta) Die sind für mich die schwierigsten, denn von mir selber erwarte ich am meisten. Auch hier hilft es, meine Erwartungen zu hinterfragen und zu reflektieren. Und Geduld mit mir zu haben, weil ich eben nicht alles erfüllen kann, was ich gerne erfüllen würde. Daher bemühe ich mich, sanft zu mir selbst zu sein.
Dies ist auch ein genereller Rat, den ich im Umgang mit Erwartungen habe. Erwartet nicht zuviel. Wünscht euch lieber etwas, denn ein nicht erfüllter Wunsch wiegt oft nicht so schwer, wie eine Erwartung.
(sabrina) In meinem Kopf gibt es eine Ecke, die nennt sich “Wunschbrunnen”. Da landen all die Dinge, die ich gern mal machen würde, früher gern gemacht habe, neu ausprobieren möchte usw.
Irgendwann bald wird es ein Wunschglas geben, in das ich solche Wünsche ganz analog hineinschmeiße werde. So der Plan.
Über meine Erwartungen an mich selbst reflektiere ich – ja, genau, auf der Hunderunde – ab und an. Eine gute Idee finde ich die Jahresplaner, die sich mit den großen Fragen auseinandersetzen. Zwischen den Jahren lässt sich das perfekt einbinden. Solche Sachen wie “Wo will ich beruflich hin?” und “Was hat mich besonders glücklich gemacht?” helfen mir, meine eigene Position klarer zu sehen. Das lässt sich auch unterm Jahr mal eben in die Hand nehmen, durchblättern und überlegen, an welcher Stelle es gerade hapert – oder richtig rund läuft.
Wie geht ihr mit Erwartungen um?
Mutter von zwei, Lehrerin, Stadtmensch
Wow! Das ist wirklich spannend, was ihr beide – mit zum Teil unterschiedlichen Sichtweisen – zum Thema “Erwartungen” so an Gedanken zusammengetragen habt. Da ist viel Stoff drin, den eigenen Alltag, das eigene (Er-)Leben unter die Lupe zu nehmen. Danke für diesen tollen Artikel!
Hallo Sabrina!
Guut Geschrieben!!!!
Und Uta natürlich auch!!!!!!!!